Die bittersten Jahre
bei der Polizei waren für Peter Reichard Undercoverermittlungen im
St.-Pauli-Milieu gegen Korruption in den eigenen Reihen und
internationales organisiertes Verbrechen, das sich – ungehindert von
Polizeiführung, Presse und Politik – dort etablieren konnte. Sein
einsamer Kampf, den er mit nur wenigen Kollegen führte, war begleitet
von Morddrohungen, Straf- und Disziplinarverfahren.
Unterwelt-Informanten, die auspackten über illegale Allianzen zwischen
Puff, Polizei und Parlament, starben unter mysteriösen Umständen.
In einem Pakt mit
mutigen Journalisten und dem späteren Hamburger Ersten Bürgermeister Dr. Henning
Voscherau gelang es schließlich, politisches Handeln zu erzwingen: 1980
schickte Bundeskanzler Helmut Schmidt seinen Abrüstungsexperten Alfons Pawelczyk mit dem Auftrag an die Elbe: Innensenator werden und
aufräumen.
Nun ging es
Schlag auf Schlag. Eine Sonderkommission unter der Leitung der
Justizsenatorin Eva Leithäuser, zu der Peter Reichard mit einem Kollegen
als Berater abkommandiert wurde, untersuchte an die tausend
Einzelvorwürfe allein gegen Polizeibeamte. Das 25-köpfige
Einbruchsdezernat der Hamburger Kripo - es galt bis dahin als das
erfolgreichste in Deutschland - wurde wegen illegaler Machenschaften
komplett aufgelöst und personell neu besetzt. Die Führungsriege der
St.-Pauli-Unterwelt landete hinter Schloss und Riegel. Sie hatte nicht
nur Beamte bestochen und massiven politischen Einfluss zu nehmen
versucht. Nicht nur das Prostitutionsgeschäft kriminell gesteuert. Und
nicht nur mit Rauschgift gehandelt. Sie war, wie nun endlich
nachgewiesen werden konnte, längst ins internationale illegale Glücks-
und Falschspiel eingestiegen. Mit über 50 Partnern der US- und
Italo-Mafia.
1983 musste
Hamburgs Polizeipräsident zurücktreten. Damit fand der größte
Polizeiskandal in der deutschen Nachkriegsgeschichte auch formal seinen
Abschluss.
Kriminalpolitische Konsequenz: In Hamburg wurden die bundesweit erste
Dienststelle zur Bekämpfung organisierter Kriminalität und eine
Anti-Korruptionsdienststelle, das heutige "Dezernat Interne
Ermittlungen" (D.I.E.), gegründet.
Interview mit Peter
Reichard in "Rund um den
Michel", NDR 1994
Der Neustart in der
Journaille begann für Peter Reichard 1984 mit einer Undercoveraktion des
STERN. Für eine Serie über das Imperium des indischen Gurus Bhagwan
tauchte er in der Rolle eines Anhängers in dessen schwerbewachtem
Sektenstaat in Oregon/ USA ab.
Neun Jahre lang
lebte er anschließend an der Côte d’Azur. Er ließ sich journalistisch
akkreditieren und berichtete für die deutsche Presse aus Monaco über die
„World Music Awards“, das Formel-1-Rennen in Monte Carlo und das Leben
und Leiden der Fürstenfamilie. Er schrieb über die Filmfestspiele in
Cannes. War für den STERN exklusiv mit Stift und Kamera dabei, als in
Nizza nachts
ein bewaffneter deutscher Ausbrecherkönig und Polizistenmörder verhaftet
wurde. Beschrieb für den PLAYBOY das Treffen eines Verdeckten Ermittlers
des BKA mit arabischen Rauschgifthändlern im feudalen Restaurant „Eden Roc“ auf dem Cap d’Antibes. Schleuste die von Paparazzi gejagte Geliebte
eines früheren Kanzlerkandidaten für den STERN von ihrem Domizil in
Saint-Tropez an einen sicheren Ort.
Zwischendurch setzte
sich Peter Reichard ins Flugzeug, spürte für den PLAYBOY und RADIO
HAMBURG in Costa Rica eine Kolonie ehemaliger St. Paulianer auf,
recherchierte für den STERN in Europa, Israel und den USA, portraitierte
für das Frauenmagazin ELLE eine afro-amerikanische FBI-Agentin in Los Angeles und
begleitete für die BRIGITTE eine Undercover-Beamtin eines SIU-Teams in
Miami Beach.
In einer seiner
ersten Reportagen berichtete Peter Reichard in GEO über das Opfer einer
Schutzgelderpressung, Titel: „Feinde bezahlen immer“. Für die
ARD-Krimiserie „Peter Strohm“ schrieb er zum selben Thema sein erstes
Drehbuch. Konsequenter Titel: „Freunde zahlen nie“.
Seither hat er
zahlreiche Drehbücher geschrieben. Seine journalistischen Arbeiten sind
heute Fernsehreportagen und Dokumentationen.
Ob Fiktion oder
Realität: Hauptthemen für Peter Reichard bleiben Kriminalität und
Polizei, St. Pauli und die Davidwache. Womit er immer wieder da anlangt,
wo er einst begonnen hat: im Rotlichtmilieu.
Petra von Simmern |